Alles Dasein ist der Veränderung unterworfen – das ist ein allgemein anerkannter Satz. Veränderung ist Geschehen in der Zeit. Zur Geschichte wird Geschehen jedoch erst für ein zeitlich begreifendes Bewußtsein. Die Sternenwelt unseres planetarischen Universums, die Naturvorgänge mögen sich in zeitlich bestimmbaren Kategorien vollziehen, aber nur der Mensch vermag das Geschehen in der Zeit als Geschichte zu begreifen, ohne vom Ursprung der Geschichte noch von ihrem Ende Kenntnis zu besitzen. Im Prinzip ist weder der geschichtliche Wandel der Lebensanschauungen noch deren Gleichförmigkeit etwas Neues. Die geläufige Redeweise von der Geschichtlichkeit des Menschen will nicht heißen, daß wir eben alle unsere Geburtsstunde in dieser Zeit haben und die uns zugewiesene Rolle auf der Bühne des Welttheaters spielen. Vielmehr sollen wir begreifen lernen, daß unser menschliches Wesen im Grunde gar nichts Festes, Bleibendes sei. Die Geschichtlichkeit bedingt jeweils neue Weisen des Menschseins. Das heißt aber, daß sich das Leben und die Ansichten darüber, was in ihm gut, recht, wahr und was böse, unrecht, falsch sei, schon so und so oft geändert haben und immer wieder ändern werden. Die Feststellung von der Geschichtlichkeit des Lebens besagt also zunächst, daß Menschen als Lebewesen Veränderungen in der Zeit unterworfen sind; sodann, daß die Menschen nicht schlechthin auf die Erde gestellt, ihre Lebenszeit verdämmern und schließlich wieder verschwinden. Sie müssen nicht notwendig geschichtslos vegetieren, sie können vielmehr Geschichte haben, sie bewußt erleben und tätig gestalten. Die Gabe oder Last geschichtlichen Bewußtseins bewahrt uns davor, so zu leben, als beginne jeder Augenblick in leerer Freiheit.
Kreisvertreter W. Geyer
Bedauerlich, aber verständlich – nur wenig mehr als 40 Jahre nach Ende des Krieges, der durch Deutsche über Deutschland und Europa solches Leid brachte – ist es, daß sich der mit der Geschichte der ehemals deutschen Gebiete östlich von Oder und Neiße sich Beschäftigende oft einer sehr zwiespältigen Kritik ausgesetzt sieht. Ist er für die einen schnell ein "vaterlandsloser Geselle", so ist er den anderen nur ob seiner Beschäftigung als Revanchist und kalter Krieger verdächtig. Die Diskrepanz dieser Urteile und ihre Unsinnigkeit (in den meisten Fällen jedenfalls) belegen, daß sich das Verhältnis der Deutschen zu ihrem ehemaligen Osten noch lange nicht entemotionalisiert hat, haben kann.
Die Gründe dafür brauchen hier nicht diskutiert zu werden. Dagegen ist es erstaunlich, wie wenig gerade die Geschichte und die Gegebenheiten jener Gebiete der Allgemeinheit bekannt sind, und wie stark bereits vieles von den Spinnweben der Legendenbildung überzogen ist. Wie verzerrt kommt manches eben von denen, die es doch eigentlich besser wissen müßten. Von dringender Aufklärung zu sprechen, wäre sicherlich vermessen, aber einer notwendigen Sachlichkeit und Nüchternheit muß Raum gegeben werden. Leicht kommt hier das Wort von der Darstellung der Geschichte, "wie sie eigentlich gewesen ist". In ideologisierter Zeit ist ein solcher Versuch aber nur schwer zu machen, denn er setzt auf beiden Seiten, beim Schreiber und beim Leser, einen gemeinsamen Ansatz voraus. Differiert der Ansatz, so differieren auch die Meinungen über Ursachen und Beweggründe von Entscheidungen; man ist sich eben nicht darüber einig, wie es eigentlich gewesen ist. Und dies verschärft somit noch die Frage nach der Geschichte ehemals deutscher Gebiete im Osten. Da kann es nur von Vorteil sein, als nicht Betroffener (in persönlicher Hinsicht jedenfalls) an solche Arbeit zu gehen, denn Unbeteiligten fällt es (zu?) leicht, nüchtern zu sein. Deshalb bleibt die begründete Erwartung, daß sich mit verstreichender Zeit manche Verkrampfung lösen wird. Vielleicht kann hiermit schon ein wenig dazu beigetragen werden. Diese Stadtgeschichte entstand als Auftragsarbeit und erhielt als zeitlichen Rahmen die Beschreibung der deutschen Stadt. Unter diesem Aspekt ist auch die Benennung der einzelnen Abschnitte zu verstehen, die eben nur an der deutschen Stadt Passenheim orientiert sind, die 1945 ihr Ende gefunden hat. Die Betonung liegt auf "deutsch". Denn die Geschichte des Ortes geht auch unter dem neuen Namen Pasym weiter; nur war sie nicht Gegenstan der Arbeit. Diese entstand auf Wunsch der von dem Ort durch die Folgen des Zweiten Weltkrieges getrennten Menschen. Herr Paul Keber, selbst ein gebürtiger Passenheimer, hat die Stadtgeschichte initiiert. Er konnte auch erreichen, daß eine von dem verstorbenen Wilhelm Teske angelegte Materialsammlung (besser -kiste) zur Verfügung gestellt wurde, die sehr nützlich war. Wilhelm Teske, der selbst eine Geschichte Passenheims schreiben wollte, soll dies Buch deshalb auch gewidmet sein. Zugang zu noch wichtigerer Literatur erhielt ich allerdings durch Herrn Professor Dr. Udo Arnold (Universität Bonn), der auch bei vielen Fragen ein geduldiger Ratgeber war, wofür ich mich an dieser Stelle nochmals herzlich bedanken möchte.Bonn, den 5. März 1987 [Georg Michels]
Passenheim Zeiten einer Stadt Georg Michels Erstausgabe 1992 190 Seiten 5,- €uro
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